2022.11.11 – Bitte stören: Warum ziviler Ungehorsam auf die Nerven gehen darf – Samira Akbarian

Bitte Stören! Warum ziviler Ungehorsam auf die Nerven gehen darf – Samira Akbarian

11.11.2022, 19:30 Uhr: 

Ziviler Ungehorsam ist ein Begriff, der rechtfertigende Wirkungen entfaltet. Ein Akt, den das Rechtssystem als Rechtsbruch und Straftat verhandelt, wird mit der Bezeichnung „zivil“ zu einem moralisch oder politisch motivierten Protesthandeln gegen Gesetze, staatliche Maßnahmen, Institutionen oder Unternehmen. So kann er im Einzelfall nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern rechtliche Rechtfertigung erlangen.

Und doch zieht der Ungehorsam als politisches Protestmittel seine Kraft aus der dramatisierenden Wirkung des Rechtsbruchs und aus der Unordnung. Aktionen „zivilen Ungehorsams“ verlassen in der letzten Zeit zunehmend den Rahmen bloßen Appels, sie werden zu direkten Aktionen und sie beanspruchen öffentliche Aufmerksamkeit. Dieses „Seht her! Hört hin!“ kommt nicht ohne Störung des öffentlichen Raumes und der „öffentlichen Ordnung“ aus.

Der Vortrag führt ein in neuere Theorieansätze, die die „disruptive“, das heißt die unterbrechende und störende, Funktionsweise des zivilen Ungehorsams im Kontext struktureller und epistemischer Ungerechtigkeit verorten. Also einer Ungerechtigkeit, die sich nicht in der formalen Gewähr von Rechten zeigt, sondern darin, welche Stimmen repräsentiert werden und repräsentiert werden können; welche Stimmen vernehmbar sind und welchen geglaubt wird.

An Beispielen aus der deutschen Rechtsprechung wird zudem vorgeführt, wie sich diese materiellen Ungleichheiten niederschlagen. Und, warum ziviler Ungehorsam zum Ausgleich auch mal auf die Nerven gehen darf.

 

Zur Person

Samira Akbarian hat Jura, Politikwissenschaft und Soziologie in Bonn und Köln studiert und dort ihre Rechtsreferendariat absolviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkten im Verfassungsrecht und der Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie die Gefahren und Potentiale zivilen Ungehorsams für den demokratischen Rechtsstaat.