22-09-16_Bitte nicht Stören-Gefühle als Herausforderung des Rechts_Sandra Schnädelbach

Bitte nicht Stören. Gefühle als Herausforderungen des Rechts – Sandra Schnädelbach

16.09.2022, 19:30 Uhr: 

Oftmals denken wir Gefühl und Verstand, Emotionalität und Rationalität als Gegensätze. Dies gilt insbesondere in Bezug auf das Recht, in dem die richterliche Objektivität ganz bewusst von subjektiven Werturteilen und Gefühlsimpulsen unterschieden wird. Regungen des Gefühls sind hier allenfalls unliebsame Erinnerungen an die fehlbare menschliche Basis einer ideal konstruierten Rechtsordnung. Sie erscheinen als Störungen historisch hart errungener rechtlicher Prinzipien, die subjektiver Willkür den Boden entziehen sollen.

Doch bereits um 1900 setzte eine Gruppe von mehrheitlich linksliberalen Juristen an, diesen Störungen des Rechts durch das Gefühl eine neue, produktive Wendung zu geben und hoffte, über eine gezielte Gefühlserziehung der Richterschaft Antworten auf die großen soziopolitischen Fragestellungen der Zeit finden zu können. Was stand hinter diesem Ansatz und welche Aufschlüsse liefert er uns über unsere eigenen Erwartungen an das Recht?

Dieser Vortrag fragt in einer historischen Perspektive, welche Funktion Gefühlen im Recht zugesprochen wurde und wie die Theoretisierung von Gefühlen unsere Vorstellungen des Rechts bis heute prägt. Wenn wir Gefühle gemeinhin als Störungen des Rechts begreifen, was verrät uns das über unsere impliziten Annahmen und politischen Setzungen, über blinde Flecken und unbeachtete Aspekte von Urteilsprozessen in- und außerhalb des Rechts? Und wie sind diese Vorstellungen entstanden?

Zur Person

Sandra Schnädelbach hat Geschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und Germanistik in Köln und Rom studiert. In ihrer Dissertation „Entscheidende Gefühle. Rechtsgefühl und juristische Emotionalität vom Kaiserreich bis in die Weimarer Republik“ (Wallstein, 2020) widmete sie sich der Rechtskultur des frühen 20. Jahrhunderts und analysierte den Stellenwert von Gefühlen in Theorien und Praktiken des Urteilens. Nach ihrer Tätigkeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin und an der Université de Strasbourg ist sie derzeit Gisela-Eisenreich-Fellow an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Freiberuflich arbeitet sie als Lektorin und ist Schlussredakteurin des Philosophie Magazins.