31.07.2019 Dystopische Prognosen

Dystopische Prognosen

Science-Fiction als Instrument sozio-kultureller Kritik

Der aktuelle Bericht der UN-Organisation IPBES vom Mai dieses Jahres belegt einen beispiellosen Rückgang der Artenvielfalt in der Geschichte der Menschheit mit gravierenden Auswirkungen für dieselbe. Es müsse sofort gehandelt werden, um größere Katastrophen zu verhindern, so die Autor_innen. Die Thesen sind keine Überraschung. Bereits in den 1970er Jahren wagten Wissenschaftler_innen des MIT einen Blick in die Zukunft und sagten ähnliches voraus. Die damaligen Autor_innen der Studie „The Limits to Growth“ von 1972 prognostizierten mithilfe von Computermodellen eine düstere Zukunft. Auch mit maximal positiven Werten bzgl. geringer Umweltverschmutzung und 100% Recycling endeten alle Szenarien in einem wirtschaftlichen und ökologischen Kollaps bis spätestens 2030.
Das Buch wurde zwar ein weltweiter Bestseller, aber man muss sich fragen, was mit dem Wissen um die negativen Folgen der prognostizierten Weltwirtschaft und Umweltverschmutzung geschehen ist. Kurz gesagt: Wieso machten alle weiter wie bisher? Die Sprengkraft der Schreckensprognose schaffte es zwar bis in die Feuilletons, aber nicht bis in das alltägliche Bewusstsein der Menschen oder in die Verhandlungszimmer der Politiker_innen. An dieser Status-Quo-Haltung hat sich auch heute scheinbar nichts geändert: Der Kohleausstieg geht schleppend voran und Bahnfahren ist teurer als Fliegen. Jeden Freitag gehen junge Menschen auf die Straße, um darauf aufmerksam zu machen und die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen.
Der Mensch ist ein narratives Tier. Er braucht Geschichten, um die Welt und sich selbst zu verstehen. Wenn aus dem Verstehen Taten folgen sollen, braucht es zudem Motive und Emotionen. Wenn Zahlen und wissenschaftliche hard facts es nicht schaffen, den Großteil der Menschheit zu einem nachhaltigen Handeln zu bewegen, dann kann es vielleicht ein Nischen-Genre der Popkultur: Science-Fiction. Science-Fiction macht andere Zukünfte erlebbar und kann als Instrument sozialer Kritik zum Handeln motivieren.

Florence Wilken

Florence Wilken hat an der TU Berlin „Kultur und Technik“ und an der HU Berlin Philosophie studiert und sich vor allem mit Fragen der Technikkritik auseinandergesetzt. In ihrer Masterarbeit setzte sie sich mit dem Thema Human Enhancement auseinander. Im digitalen Kulturmagazin postmondän schrieb sie u. a. über Afrofuturismus und Kafka. Zurzeit arbeitet sie bei der Kooperations-und Beratungsstelle für Umweltfragen (kubus) an der TU Berlin.