22.05.2019 – Nietzsches Philosophie der Zukunft

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Die geschichtsphilosophischen Grundlagen von Nietzsches Moralkritik und die Funktion von Gesetzeshypothesen für die Prognostik

Die zentrale These des Vortrags lautet: Nietzsches Kritik der Moral basiert auf Aussagen über die zukünftige Entwicklung der Menschheit. Diese Entwicklung entfaltet er in einer natur- oder universalgeschichtlichen Perspektive ‚im langen Bogen’, die den Zeitraum von der Herausbildung des Menschen aus dem Tierreich bis zu seiner zukünftigen Aufhebung in der Figur des ‚Übermenschen‘ umfasst.
Mit dem ‚Übermenschen‘ entwirft Nietzsche eine Art privilegiertes Erkenntnissubjekt, das die ‚objektive‘ Entstehungsgeschichte unserer moralischen Normen und Werte erzählen kann. Der ‚Übermensch‘ ist bereits ‚über die Moral hinaus‘; er befindet sich jenseits von Gut und Böse und den damit verbundenen erkenntnisleitenden Interessen und Vorurteilen. Der Standpunkt außerhalb der abendländischen Moral ermöglicht es ihm, die moralischen Illusionen und ideologischen Verzerrungen der Gegenwart zu erkennen und zu kritisieren. Die Hilfskonstruktion des ‚Übermenschen‘, die Nietzsches Moralkritik anleitet, ist nun aber aus erkenntnistheoretischen Gründen auf geschichtsphilosophische Aussagen angewiesen. Diese bauen ihrerseits jedoch auf Gesetzeshypothesen, einer Begriffsmetaphysik und Annahmen einer menschheitsgeschichtlichen Entwicklungslogik auf, die Nietzsche als ‚Anti-Hegel‘ (Deleuze) ablehnt. Was also tun?

Thomas Land

Thomas Land promoviert aktuell zur Begriffsgeschichte der Zivilgesellschaft am Max-Weber-Kolleg in Erfurt.